Casting mit Kotelett - aus dem Leben der "Les Oriental Angels"
Gibt es für Künstlerinnen, die wir ja zweifelsohne sind, etwas Beglückenderes als dass ihre Kunst fachkundig gewürdigt wird und dass sie möglicherweise sogar Künstlerkolleginnen oder Kollegen inspiriert? Uns war dieses Glück beschert in der Person des namenlosen Musikers.
Der namenlose Musiker hatte, wie er von sich selbst preisgab, durchaus einen Namen, vielmehr sich einen Namen gemacht: er hatte mehrere CDs eingespielt, Verbindungen zu aller Welt, war selbst Kosmopolit – Exilalgerier in Paris – und vieler Sprachen mächtig.
Als er uns zum ersten Mal sah und wir seinen Namen noch nicht kannten, hatte er selbstverständlich sein Musikinstrument bei sich. Eine normale, einfache Gitarre. Nachdem wir damals unseren Auftritt unter dem Jubel der Pariser Fans und dem Einschreiten der Pariser Flics beendet hatten, gesellte sich der namenlose Musiker zu uns, sprach Lobes- hymnen auf unseren Tanz, wollte wissen, wieso wir orientalisch und wer wir überhaupt und welche Sprache… Als er gewahr wurde, dass wir „des Allemandes“ waren, fand seine Begeisterung keine Grenzen. Als Ausdruck seiner höchsten Ehrerbietung stimmte er auf seiner Gitarre gleich ein munteres Lied in deutscher Sprache an: „Bitte geben Sie mir ein Stück Rumpsteak, bitte schön, danke schön und ein Schluck Wasser bitte schön, danke schön“. Ein eingängiger Text, den er fortwährend rezitierte und sich dabei selbst auf der Klampfe rhythmisch begleitete. Wir hatten verständlicherweise Hemmungen, in diesen Text einzustimmen: Rumpsteak als Resonanz auf unseren schöngeistigen, erotisch flirrenden, märchenhaften Tanz schien uns doch ein etwas rohes Angebot einer künstlerischen Zusammenarbeit. Auch die Melodieführung, so begrüßenswert eingängig sie war, mutete doch sehr monoton an. Und dies versteht sich im wörtlichen Sinne: alle Silben verharrten auf einem Ton, lediglich in der Silbenfolge des letzten Wortes, sprang das „Dan“ von Dankeschön etwa eine Terz höher und bekam so, das muss man zugeben, einen charmanten Akzent. Dass wie dennoch unsere Scheu mitzusingen allmählich ablegten, lag vielleicht an dem solchermaßen hervorgehobenem Dank oder an dem allen offenbarten Zahnlücken zum Trotz gewinnenden Lächeln des Namenlosen, mit dem er uns auch anbot, uns bis zu unserem Ziel, dem „alten Couscous“, zu begleiten. Als Algerier kannte er diese Lokalität selbstverständlich und aufgrund dessen entwickelte sich unsererseits eine zunächst noch etwas halbherzige Art Solidarität. Schon fallen die ersten von uns in den Singsang von bitte schön, danke schön ein, während die, die noch nicht begreifen, Fragen stellen der Art: „Wie, der geht jetzt mit uns?“, oder „Wer ist das überhaupt?“ Diese letztere Frage löst sich quasi von selbst. „Rumpsteak heißt der, bitte schön, danke schön.“ Aber wie kann man bloß Rumpsteak heißen? Das halbgare Fleisch des Namens schreckt uns ab und wir entscheiden uns für die übrigens auch französischer klingende, durchgebratene Version und fortan nennen wir ihn „Kotelett“. Kotelett begleitet uns also, bzw. geht uns voran, über die Arkaden von Les Halles, in die Metro Chatelet, unermüdlich seine Begeisterung bezeugend: „Geben Sie mir ein Stück Rumpsteak, bitte schön, danke schön.“ Eine seltsame Prozession müssen wir abgegeben haben: zwölf bis vierzehn Bauchtänzerinnen im Schlepptau dieses Gangleaders. Er kann natürlich mehr als den Rumpsteakgesang, z.B. etwas Heimatlich-Folkloristisches, das klingt etwa wie: „Wä,wä, assassins, wä,wä assassins.“ Wir, der französischen Sprache nur bedingt mächtig, finden diese Klänge übereinstimmend angenehmer und irgendwie auch von mehr Intellekt zeugend als Rumpsteak und ein Glas Wasser und stimmen gewissermaßen erleichtert jetzt in dieses Kooperationsangebot ein. Singend, mit einer Art fröhlicher Komplizenschaft gegen die Tristesse des Metroundergrounds und bester Dinge folgen wir also unserem neuen Guide bis zum „Couscous“. Wir glauben nun gar, dass das Liedchen, das wir mittlerweile schmetternd und vital durch die Straßen getragen haben, von der von uns geschätzten Mannschaft des „Couscous“ als eine Art Sympathiebezeugung oder vielleicht auch Kulturinteresse an ihrer Heimat verstanden wird, denn wir ernten anerkennende Zurufe seitens der Belegschaft.. „Wäh, mäh, assasins, mäh, mäh, assassins!“ Sie legen dann auch gleich die CD des anscheinend populären Stücks auf und singen alle lauthals dieses Lied. Lachen und Schulterklopfen, wir gehören irgendwie dazu. Alle sind Algerier und wir seit Jahren dort gern gesehene Gäste. Unsere Auftritte sind legendär, unsere Tanzeinlagen, auch auf der Theke, gelten als Höhepunkte des Kneipenlebens. Sie haben sogar Fotografien von uns in der Kneipe aufgehängt. Und auch diesmal serviert man uns kostenlos den Couscous.
Hier zeigt sich übrigens der unserer Truppe eigene Sinn fürs Praktische. Keiner kennt den echten Namen dieser Kneipe. Wir nennen sie Couscous, weil hier freitags und samstags kostenlos Couscous ausgegeben wird. Wozu also sich mit Nebensächlichkeiten aufhalten. Jede kennt auch den Unterschied zwischen dem „alten“ und dem „neuen Couscous“ und wenn wir heute vom „neuen Couscous“ reden, so ist damit gemeint, dass Jack Nicholson, auch den kennt jede, aus dem alten ausgestiegen ist, in der Rue Minillemontant sein eigenes Restaurant aufgemacht hat, das zwar die Tradition des kostenlosen Couscous mitgenommen hat, nicht aber die Begeisterung für Assassins. Als wir es hier einmal später damit versuchen, werden wir niedergekuscht, so etwas nimmt man dort nicht in den Mund. Es ist ein Rebellenlied, das zu weit Roherem auffordert als das vergleichsweise harmlose Fleischgericht darstellt, erfahren wir zu unserer Bestürzung. Ach wären wir doch bei Rumpsteak und einem Glas Wasser geblieben. Aber das kam wie gesagt später und zu spät für unseren gewagten Gesangsauftritt.
Vorerst bleiben wir dem alten Couscous treu. Und Kotelett bleibt uns treu.
Im nächsten Jahr, als wir wieder vor dem Centre tanzen, ist auch er wieder da. Diesmal im Anzug und im Hemd, geschäftstüchtig und ohne Gitarre. Seine Freude ist groß und er offeriert er uns sein Angebot: Er sucht Künstlerinnen für ein Welt-Afrika-Festival im Sommer in der Schweiz. Und er will uns dabei haben. Er mit uns…das stellt er sich ganz wunderbar vor. Aber er ist nicht entscheidungsbefugt, ein Casting bei den Festivalmachern ist erforderlich und wir sollen unbedingt dorthin kommen, morgen um 11.00 Uhr. Während manche von uns dieses Ansinnen lächelnd ignorieren, beißen andere enthusiastisch an: Ja klar werden wir antanzen.
Wir sind uns qualvoll uneinig. Das ist nicht angenehm. Eine solche Meinungsverschiedenheit drängt nach Harmonisierung. Eine Art Nivellierung der Extreme ist erforderlich. Und so kommt es, dass wir - nun gut - nicht zum Casting gehen, erstaunlicherweise aber unseren Morgenspaziergang zum Markt an der Bastille machen, also genau dorthin, wo in der Nebenstraße das Castingbüro liegt. Die Zeit stimmt auch. Wir wären pünktlich, wenn wir dennoch... Und so bricht der Wille der Gruppe an dieser Stelle erneut auseinander, so dass nun die enthusiastische Fraktion doch zum Casting marschiert, leider ohne Musik und ohne Kostüme.
Kotelett erwartet uns bereits.
Zu unserer Ehrenrettung sei gesagt, dass wir tapfer waren. Die Musik haben wir a chapella gesungen und eine improvisierte Choreografie frisch dargeboten, in unseren normalen Kleidern. - Kotelett haben wir seitdem nie wieder gesehen.
©Birgit Bodden